Vom Backofen Andalusien ins Kühlregal Österreich

Stefanie: Wie heißt du und wie alt bist du?

Rafael: Mein Name ist Rafael und ich bin 29 Jahre alt.

Stefanie: Woher kommst du ursprünglich?

Rafael: Ich komme aus einem Dorf in Andalusien. Es liegt in der Nähe von Sevilla und Córdoba.

Stefanie: Wie lange lebst du schon hier in Österreich?

Rafael: Seit einem Monat.

Stefanie: Warst du schon einmal hier?

Rafael: Ja, ich habe schon fast ein Jahr hier in Österreich gelebt. Letztes Jahr. Ich habe in St. Pölten, in der Nähe von Wien, gewohnt. Ich bin nach Spanien zurückgegangen, um meinen Master zu machen. Es kam ein anderes Jobangebot, das auch sehr interessant war, und ich habe beschlossen, es anzunehmen. Hier bin ich nun wieder.

Stefanie: In welchem Beruf arbeitest du jetzt?

Rafael: Im Moment arbeite ich als Maschinist. Ich arbeite im Sterilbereich der Joghurtproduktion.

Stefanie: In welcher Firma arbeitest du und in welcher Stadt?

Rafael: Ich arbeite in einem Unternehmen, das Milch verarbeitet. Die Firma befindet sich in Stainach. Es ist eine sehr schöne Stadt hier in der Steiermark. Es ist sehr schön, weil ich aus einem Tal-Gebiet komme. Ich habe noch nie in meinem Leben einen Berg gesehen und hier gibt es buchstäblich nur Berge und eine Menge Schnee. Ich mag die Kälte. Ich komme aus Andalusien. Andalusien ist von Mai bis Oktober/November ein Backofen, also ist es hier schön kühl. Ich habe zu meinen Freunden immer wieder scherzhaft gesagt:  Ich war letzten Winter in Sevilla, um die Wärme zu genießen, und jetzt im Sommer, wenn das Wetter dort brütend heiß ist, bin ich wieder in Österreich. Ich hoffe, ich werde auch diesen Winter noch hier sein.

Stefanie: Wie sieht ein typischer Arbeitstag aus?

Rafael: Das kommt darauf an, denn wir arbeiten in 3 Schichten. Wir arbeiten von 06.00 Uhr bis 14.30 Uhr, von 14.00 Uhr bis 22.00 Uhr und von 22.00 Uhr bis 06.30 Uhr. Ich arbeite diese Woche zum Beispiel in der Nachtschicht und komme um 07.00 Uhr morgens nach Hause. Und die Arbeit – die gefällt mir gut. Sobald man ankommt und eingestempelt ist, muss man sich umziehen, weil es ein steriler Bereich ist, in dem ich arbeite. Man zieht die vom Unternehmen zur Verfügung gestellte Uniform an und beginnt mit der Produktion. Man kommt an, bespricht mit dem Kollegen, ob es während der Schicht irgendwelche Probleme gegeben hat. Wenn alles in Ordnung ist und die Maschine läuft, geht man in die Produktion. Man legt das Rohmaterial in die Maschine, überprüft, ob die Maschine gut funktioniert und ob sie gut versiegelt ist. Manchmal gibt es Probleme mit der Versiegelung, weil sich die Platte bewegt und die Temperatur im Siegel nicht ausreicht. Es muss also geprüft werden, ob alles funktioniert. Ich bearbeite den letzten Teil. Bei mir wird das Joghurt mit verschiedenen Geschmacksrichtungen in kleine Becher gefüllt. Gestern haben wir zum Beispiel Pistazie hergestellt, vorgestern Stracciatella und Erdbeere. Wenn eine Sorte fertig ist, muss die Maschine gereinigt werden, weil das Format wechselt. Am Ende kontrolliert der zuständige Mitarbeiter, ob alles in Ordnung ist und der ganze Reinigungsprozess läuft. Von hier kommt es dann ins Supermarktregal.

Stefanie: Was gefällt dir am meisten an deinem Job?

Rafael: Die Arbeit gefällt mir sehr gut. Es ist ein seriöses Unternehmen, das letztendlich aus Fachleuten besteht, und natürlich gibt es Probleme, wie überall. Mit Problemen meine ich technische Probleme. Wenn ein Problem auftaucht, kann man es mit dem Kollegen nebenan besprechen, denn der Kollege nebenan kennt die gleichen Maschinen wie man selbst. Ich bin der Neuling. Ich kenne nur eine Maschine, aber meine Kollegen kennen viele. Und darauf kommt es an! Wenn es ein Problem gibt, ruft man einfach an. Wenn es ein elektrisches Problem gibt, ruft man den Elektriker an, er kommt und löst es. Die Kommunikation ist sehr gut. Es wird immer alles besprochen und kommuniziert, z. B. eine Änderung in der Produktion.

Stefanie: Welche Aufgaben sind für dich eine Herausforderung und wie gehst du damit um?

Rafael: Herausfordernd ist, auch wenn ich gesagt habe, dass die Kommunikation mir am besten gefällt, die Kommunikation per Telefon. Weil, na ja, mein Deutschniveau ist noch nicht so hoch, obwohl ich ein Jahr in St. Pölten verbracht habe. Dort habe ich mit anderen Spaniern zusammengelebt. Meine Chefin damals war Spanierin. Sie hat Spanisch gesprochen. Obwohl ich schon ein Jahr hier gewesen bin, hat sich mein Deutsch seither nicht wirklich verbessert. Jetzt kommst du also hierher und die Kollegen sprechen mit dir in Dialekt am Telefon, während die Maschinen klingeln, in einem Bereich, in dem du Kopfhörer tragen musst, weil es zum Beispiel sehr laut ist. Da ist es plötzlich nicht mehr so einfach, am Telefon in Dialekt zu kommunizieren. Ich verstehe, dass ich mich anpassen muss, ich bin hierher gekommen, aber es ist ein mühsamer Prozess. Aber ich will mich nicht beschweren, denn ich komme aus dem Süden Andalusiens und wir sprechen auch einen schweren Dialekt.

Stefanie: Wie war der Beginn in Österreich, was war für dich neu oder unbekannt?

Rafael: Na ja, alles! Man informiert sich im Internet bzw. man versucht sich zu informieren, bevor man nach Österreich kommt, aber am Ende sieht die Realität doch anders aus. Man kommt an und die Supermärkte sind abends um 18.00 Uhr geschlossen, weil um 18.00 Uhr Abendessenszeit ist. Um 20.00 Uhr sind viele Restaurants bereits geschlossen. Für einen Spanier ist das ein Schock, denn man ist es gewohnt, um 23.00 Uhr zu essen. Man muss auf einmal seinen Zeitplan anpassen. Es gibt andere Sitten. Ein anderes Beispiel: Das Licht. Ich war schon etwas schockiert, dass es so früh dunkel wird. Ich kam im Oktober an, Ende Oktober, Anfang November. Das ist natürlich eine Umstellung, die mental sehr schwierig ist. Wenn man sich dann anpasst, gewöhnt man sich daran. Das ist die Hauptsache. Das und die Sprache. Wenn ich jemandem, der hierher kommt, einen Rat geben soll, dann diesen: Mach das Beste aus dem Kurs. Versuche so viele Vokabeln wie möglich zu lernen, denn danach wirst du auf den Dialekt stoßen. Je mehr Vokabeln du kannst, desto besser, denn dann hast du eine bessere Grundlage, um Dinge zu verstehen. In der Firma gibt es Leute, die mit einem auf Hochdeutsch sprechen, andere benutzen mehr Dialekt. Aber nicht nur in der Arbeit wird Dialekt gesprochen. Man baut sich ja auch ein neues Leben in Österreich auf und auch dort ist dieser sehr präsent. Wenn man in den Supermark geht, sagt man hier in Stainach zum Beispiel „Grüß di“ und in St. Pölten sagt man „Grüß Gott“. Es mag lächerlich erscheinen, aber wenn du an einen Ort kommst und plötzlich sagt man etwas zu dir, das du nicht verstehst, ist es ein Schock. Aber gut, am Ende passt man sich an, man versteht, man hört den Dialekt, man lernt das Vokabular der Gegend. Das Wichtigste ist es, sich nicht zu verschließen. Hier in Stainach leben viele Spanier, aber man spricht ja nicht nur mit ihnen. Es ist wichtig, dass man sich mit den Kollegen an den Maschinen, die einen ausgeprägten Dialekt sprechen, verständigen kann. Es ist aber genau so wichtig die alte Dame in der Supermarktschlange zu verstehen oder die Mitarbeiter auf der Bank, die ebenfalls Dialekt sprechen. Es ist wichtig, um ein erfülltes soziales Leben zu führen.

Stefanie: Ist das Leben und Arbeiten hier in Österreich so, wie du es dir vorgestellt hast?

Rafael: Ja, es ist so, wie ich es mir vorgestellt habe, auch wenn die Öffnungszeiten im Allgemeinen eine große Umstellung waren. Zu 100% kann man es sich nicht vorstellen. Denn man sagt sich: „Na ja, es ist ja nicht schlimm, dass ein Supermarkt um 18.00 Uhr abends schließt“. Man passt sich an. Klar, man kommt mit der spanischen Mentalität an: „Kein Problem, es ist zwar 22.00 Uhr, aber ich hole mir noch schnell etwas im Supermarkt.“ Und dann ist Samstag – später Nachmittag, an dem man aus irgendeinem Grund nicht einkaufen gegangen ist, und man denkt sich „Okay, macht nichts!“ Und plötzlich steht man an einem Sonntag ohne Essen da.

Stefanie: Wie ist der Deutschkurs gelaufen?

Rafael: Der Deutschkurs lief gut. Ich habe im Deutschkurs sehr viel gelernt. Es lief sehr gut für mich und ich hatte ein sicheres Niveau. Ich würde jedem, der hierher kommt, sagen, dass es so etwas wie ein sicheres Niveau nicht gibt, weil jeder ein anderes Vokabular benutzt. Jedes Unternehmen benutzt ein anderes Vokabular. Der Kurs war hart. Praktisch gesehen besteht ein Job aus 6 oder 7 Stunden pro Tag. Ich bin ein Zahlenfanatiker. Ich habe Chemie studiert. Ich war noch nie gut in Sprachen, aber die Betreuung ist sehr gut. Der Kurs ist zwar anstrengend, aber am Ende schaffbar. Natürlich sind es 6 Stunden am Tag plus 2 oder 3 Stunden, in denen man den Stoff wiederholt und lernt. Aber es ist sehr gut, um ehrlich zu sein. Ich ziehe es vor, es so zu machen. Ein Intensivkurs ist besser als 2 Stunden pro Woche und das 2 Jahre lang. Ich habe das Gefühl, dass die Fülle an Stoff dazu beiträgt, dass alles schneller fließt. Man hat Inhalte zum Beispiel letzte Woche gesehen und nicht vor einem Monat, also merkt sich das Gehirn das irgendwie leichter.

Stefanie: Welche Ziele hast du für die Zukunft?

Rafael: Meine Ziele … Ich würde gerne dort bleiben, wo ich jetzt bin, in dem Unternehmen, das ich mag. Es ist ein seriöses Unternehmen und ich würde gerne aufsteigen, vielleicht ins Labor gehen, vielleicht an den Anfang der Produktion, wo das Joghurt hergestellt wird, denn ich bin Chemiker. Ich habe die passende Ausbildung. Mir fehlt Deutsch. Das ist sehr wichtig, nicht wahr?!

Stefanie: Was würdest du jemandem sagen, der auch darüber nachdenkt, nach Österreich zu kommen?

Rafael: Es ist eine gute Idee in dem Sinne, dass es immer gut ist, von woanders zu lernen. Spanier sind vielleicht offener und ein bisschen fröhlicher. Österreicher sind ernster und formeller, aber wenn man sie besser kennenlernt, sind sie sehr freundlich. Man entdeckt neue Seiten an sich, man ist anders, man verhält sich anders, man lebt in einer anderen Kultur und das, obwohl wir beide Europäer und Katholiken sind. Was mich hier zum Beispiel an Ostern überrascht hat, ist, dass die Leute Fleisch in die Kirche mitnehmen. Dieser wird gesegnet. Und in Spanien, zumindest in Andalusien, gibt es Prozessionen. Es ist schön, diesen Austausch der Kulturen zu sehen, wie die Dinge an einem anderen Ort gemacht werden. Und auf der anderen Seite muss man sich das sehr gut überlegen, denn es ist ja kein Urlaub, das heißt, man kommt schließlich hierher um hier zu leben. Die Arbeit auf Deutsch, im Dialekt, ist manchmal etwas anstrengend für den Kopf. Man ist durcheinander, aber es ist auch eine sehr gute Gelegenheit zu arbeiten, zu lernen, wie die Dinge in einer anderen Kultur gemacht werden. Es ist auch sehr schön. Man kann stolz darauf sein, sagen zu können: „Ich habe es geschafft“. Es ist ein harter Prozess. Deshalb sage ich, dass man sich zu 100% sicher sein muss, wenn man sagt: „Ich möchte in ein anderes Land ziehen“.

Stefanie: Hast du noch weitere Ratschläge für Leute, die nach Österreich kommen und hier leben wollen?

Rafael: Man muss offen sein, man muss sich bewusst sein, dass man den Kulturkreis und die Umgebung verlässt und sich die soziale Dynamik verändert. Man sollte versuchen, aufgeschlossen zu sein und vor allem bereit sein, sich anzupassen. Es ist wichtig, dass man nicht ständig vergleicht: So ist es in Spanien, so ist es hier, denn am Ende ist man einer von Millionen. Man muss sich also daran gewöhnen, wie die Dinge gemacht werden. Man sollte sagen können: „Wenn sie es so machen, dann werde ich mich anpassen und es auch so machen“. Das ist es, worum es geht. Und deshalb muss man letztendlich Deutsch können. Man muss die soziale Dynamik kennen und sich ihr anpassen, wenn man zum Beispiel bei der Arbeit ist. Nun, man scherzt weniger, denn wenn Spanier arbeiten, sind sie fokussiert und arbeiten konzentriert. Ich glaube das ist der Grund, weshalb wir eingestellt werden, denn ich bin nicht der erste Spanier, der im Unternehmen arbeitet. Es wurden schon mehrere Male Spanier eingestellt und normalerweise scherzen wir nicht.  Während der Pause muss man sich dem Rhythmus anpassen, denn es gibt Zeiten, in denen ein Witz vielleicht nicht in die Situation passt, weil wir am Arbeitsplatz sind. Wir alle sind ja zum Arbeiten da, nicht wahr?! Aber wenn die Arbeit aus ist, geht man gemeinsam ein Bier trinken und dann geht es nicht mehr ernst zu. Dann gibt es mehr Kameradschaft, mehr Nähe. Es ist wichtig, das zu verstehen und zu begreifen. Jeder Mensch ist anders und jeder Mensch braucht seine Zeit und verhält sich dementsprechend.

Stefanie: Drei Dinge, die du an Österreich magst?

Rafael: Das Klima. Auch wenn die Leute mich mehr als komisch anschauen. Als ich ankam, hörte ich ganz oft Sätze wie: „Nein. Spanien! Sonnenschein! Warum bist du hierher gekommen? Hier ist es sehr kalt.“ Ich mag die Kälte. Die Berge. Die schöne Landschaft. Und die Art zu arbeiten. Weil sie viel seriöser ist.

Stefanie: Bevor wir das Interview beenden, habe ich noch ein paar kurze Fragen. Es geht um Vergleiche zwischen Spanien und Österreich: Berge oder Meer?

Rafael: Berge.

Stefanie: Leberkässemmel oder Paella?

Rafael: Paella.

Stefanie: Skifahren oder Schwimmen?

Rafael: Schwimmen.

Stefanie: Ein Mittagsschlaf oder Kaffee und Kuchen?

Rafael: Kaffee und Kuchen.

Stefanie: Ein Tinto de verano oder ein Radler?

Rafael: Tinto de verano.

Stefanie: Wien oder Madrid?

Rafael: Weder noch. Beide Städte sind sehr schöne Städte, aber ich bin kein Stadtmensch. Und außerdem sind Wien und Madrid zu ähnlich.

Stefanie: Vielen Dank, dass du dir Zeit für das Interview genommen hast.

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